Der Freischütz
»Kay Link trägt gefühlsduselige Masken ab, tischt eine diesseitige Dialogfassung auf und verlinkt Historie und Gegenwart auf intelligente wie spöttelnde Weise« Thüringer Allgemeine
»Starke Bilder, eine stringente, dichte Geschichte... Ein Erlebnis, das sich einbrennen wird in die Köpfe der Besucher.« NNZ
Wieder getroffen!
»Während der große Oberförster Goebel (Anm.: Goebel war damals der Thüringer Kultusminister mit Kahlschlag-Ideen) in Erfurt sein Revier säubern will und alles Pulver schon verschossen hat, ohne einen guten Schuß gelandet zu haben, schießt das kleine Stadttheater in Nordhausen scharf zurück. Mit dem "Freischütz", der vielleicht romantischsten, auf jeden Fall aber mystisch-zauberhaften deutschen Nationaloper. Freitag war Premiere.
Carl Maria von Webers Musik ist so intensiv und farbig, daß ganze Generationen von Filmmusikern ihn beneideten und dies wohl immer noch tun. Behutsam zart oder ausdrucksstark kräftig, immer findet der Komponist genau den richtigen Ton für die Szene. Eine gute Vorlage für die Inszenierung dieses Werkes und Kay Link als Regisseur weiß sie ebenso gekonnt zu nutzen wie seine Ausstatterin Olga von Wahl auf der Bühne. Im Orchestergraben führt der GMD Hiroaki Masuda sein glänzend aufgelegtes Loh-Orchester bravourös durch das mit Ohrwürmern gespickte Musikstück. Starke Bilder, eine stringente, dichte Geschichte und hervorragende Sängerinnen und Sänger machen aus dem Premierenabend ein Erlebnis, daß sich einbrennen wird in die Köpfe der Besucher. Vornweg und überragend die beiden Jägerburschen Max (Hans Jürgen Schöpflin) und Kaspar (Rainer Zaun), die ihre innere Zerrissenheit gesanglich und darstellerisch meisterhaft vorführen. Großartig auch wieder Sabine Blanchard in der Rolle der ahnungsvollen Braut Agathe und Brigitte Roth als ihre völlig arglose Freundin Anne. Dazu ein Chor, dem Zuzuhören genau so eine Freude ist, wie ihn zu sehen. Das ganze Nordhäuser Ensemble scheint in dieser Inszenierung so hoch motiviert, als könne es mit herausragenden Leistungen das drohende Ende des Theaterbetriebs in der Rolandstadt abwenden. Diese erste Premiere der Spielzeit macht all denen Mut, die das Theaterensemble in Nordhausen noch nicht aufgegeben haben. Wie der Kampf letztlich ausgeht, ob das Gute schließlich wie in Webers Oper obsiegt und der Standort erhalten werden kann, das hängt sicherlich nicht unwesentlich davon ab, wie das Publikum sich hinter die Truppe um Intendant Lars Tietje stellt. Die Premierenbesucher am Freitag waren rundherum begeistert – und das zu recht. Sie wohnten einer sehr guten Operninszenierung bei, die auch in den nächsten Vorstellungen ein ausverkauftes Haus verdient hat.«
NNZ
Nordhausen schießt sich frei
Gefährdetes Theater setzt auf spannendes Musiktheater
»Den Vorwurf, Webers Figuren hätten im Gegensatz zum Mozartschen Personal keine Tiefe, blieben typenhaft und an der Oberfläche, mußte sich dessen 1821 uraufgeführter Oper Der Freischütz von Anfang an gefallen lassen. Das durch unselige Kürzungspläne des Landes bedrohte Theater Nordhausen tritt nun bei seiner ersten Premiere der neuen Spielzeit ganz dezidiert an, dieses Vorurteil zu widerlegen. Gerade in diesen schwierigen Zeiten zieht sich das Haus nicht zurück auf vorsichtiges Gefälligkeits-Theater, sondern setzt sein Potential offensiv ein: Progressives Musiktheater für die Region und ein Ensemble, das in der Lage ist, nahezu alle Rollen dieser großen Oper abzudecken.
Die Regie für diese Produktion hat Kay Link übernommen, der für unkonventionelle Lesarten und sorgfältige Personenführung bekannt ist. Gemeinsam mit seiner Ausstatterin Olga von Wahl entsteht ein Freischütz, der einen zeitgemäßen Zugriff mit kraftvollen Bildern verspricht. [...]
Mit großer Genauigkeit und Sensibilität lauscht der junge Regisseur der Musik und dem Text auch gerne übersehene Details ab und kommt zu erstaunlichen Ergebnissen…«
Stadtmagazin Nordhausen
Freischütz« in Nordhausen: In Betrachtung des Romantischen
»Im Theater Nordhauen stieß die Soko "Freischütz" bei ihren Ermittlungen zum Fall Carl Maria von Webers auf neue, fast den Status der Verunglimpfung tangierende Aspekte. NORDHAUSEN. Präzedenzfälle aus Meiningen und Weimar existieren reichlich. Ob triumphlose, partylaunige "Aida" oder ausverkaufte Braut in Las Vegas – alle Regie-Intentionen opponierten nachvollziehbar gegen die Abhängigkeit des Menschenglücks von Sängerwettstreit und Probeschuß. Ein Täter in diesem, guten Sinne ist Regisseur Kay Link. Er trägt gefühlsduselige Masken ab, tischt eine diesseitige Dialogfassung auf und verlinkt Historie und Gegenwart auf intelligente wie spöttelnde Weise. Am Ende ist der "Freischütz" eine alte Geschichte, die sich zwei Männer in Betrachtung eines romantischen Naturbildes erzählen. Offensichtlich haben Max und Agathe ihr Probejahr nicht bestanden. Einige der Regie-Freikugeln treffen ins Schwarze des recht unvergnüglichen Stoffes. Wenn während der Ouvertüre, die das Loh-Orchester unter Hiroaki Masuda mit Klangnuancen erfrischend darbot, Soldaten rekrutiert werden, ist erkennbar, wo Link die den Menschen umgarnenden Mächte sucht. Sein "Freischütz" zeigt ein klares Täterprofil und das macht ihn sympathisch. Es ist Wiesn-Zeit, wo Victoria- und Jägerchor lustvoll mit altjüngferlichem Unterton im Bierzelt erschallen, wo Erbförster Kuno (Matthias Ehm) aus seinem tollen Leben plaudert, wo Fürst Ottokar (Thomas Kohl) sich an Agathe ranmacht, wo ein Dorftrottel (Gerd Auer) die Gesellschaft erheitert, eine Wirtin (Sibylle Siese) die Klaren ausschenkt. Wirtin, Rotkäppchen und drei trinkfeste Brautjungfern (Roswitha Ifkowitz, Manuela Manolova, Susanne Stephan) bescheren dem brutalen Opernabtrieb heitere Momente. Ein bißchen Spaß muß sein, denn für Max (Hans-Jürgen Schöpflin) und Agathe (Sabine Blanchard) gibt es nichts zu lachen. Angestrengt wirkt der Tenor und trotz seiner wohltuenden Sanftmut ist Max die am wenigsten von der Regie herausgearbeitete Figur. Anders der mit Samiel verbandelte Jägerbursche Kaspar. Rainer Zaun konturiert ihn prachtvoll. In seinem abgrundtiefen Bass triumphiert das Böse und erntet trotz gelegentlicher Intonationsschwankungen viel Beifall. Ännchen (Brigitte Roth) ist eine moderne Frau, die mit Werkzeugkasten und Akkuschrauber umzugehen weiß. Dem Schicksal trotzt sie mit praktischem Lebensmut. Flink wie der schlanke Bursch gegangen kommt, durchsichtig und klar singt Brigitte Roth ihre Partie. Kühle Ignoranz bezeugt sie der angeblichen Freundin Agathe. Denn als diese Suizid übt ist Ännchen zwar mit dem Sanikasten schnell zur Stelle, aber unbeteiligt lässt sie der Regisseur bemerken: "Und geweint hast du auch". Brigitte Roth kann deutlich machen, daß sich Ännchen selbst genug ist. Der Kontrast zwischen dem Pragmatischen und Dramatischen ist dem Regisseur mit leichtem Federstrich gelungen. Stringent entwickelt er die Figur der Agathe, von einem scheinbar nur an Speisen und Champagner interessierten Dämchen hin zur alle atmosphärischen Störungen spüren lassenden Frau. Für diese Wandlung zieht Sabine Blanchard einige darstellerische Register. Und sie, ihre leise, fromme Weise, beschenkt die Inszenierung mit dem berührendsten Moment. Innig umgarnen sie die Holzbläser, eines der tragfähigsten Register der Premiere überhaupt. Mit ausgezeichnetem Gespür für das Filigrane dieser Opernszene, mit Sinn für das Zerbrechliche dieses intensiven Augenblicks schaut Sabine Blanchard in Agathes Seele. An diesem schönen Punkt stellt die Soko "Freischütz" gern ihre Ermittlungen zur Premiere ein. Dem Ermittler interessanter Regieaspekte bleibt noch das Fazit Webers mitzuteilen: "Der rein ist von Herzen und schuldlos von Leben, darf kindlich der Milde des Vaters vertrauen." Wenn´s doch nur der Kulturraubbau betreibende Landesvater wäre.«
Thüringer Allgemeine
Premiere des »Freischütz« in Nordhausen stürmisch gefeiert
»Ach, hätten doch Thüringer Kulturbeamte und künftige Theaterbestatter diesen Jubel erlebt. Im Boden hätten sie versinken müssen ob des Vorhabens, diesem Nordhäuser Musentempel die Gelder kürzen zu wollen. Über Kay Links Inszenierung des „Freischütz“ kann man geteilter Ansicht sein, das Opernereignis in seiner Gänze war grandios, der Premierenapplaus und die wohlverdienten Bravos nahmen kein Ende. Inspiriert vom 1810 erschienenen „Gespensterbuch“ (Apel und Lau), arbeitete der deutsche Komponist Carl Maria von Weber (1786 bis 1826) vier Jahre am „Freischütz“. Johann Friedrich Kind schrieb das Libretto zu dieser romantischen Oper, die bei ihrer Uraufführung 1821 in Berlin Stürme der Begeisterung auslöste. Der Aberglaube um die sog. Freikugeln, die unter mystischen Voraussetzungen gegossen werden, ist alt. Der Leibhaftige soll seine Hand im Spiele haben und nicht selten verkauft ein Freischütz seine Seele für die Treffsicherheit. Treffen muß der Jägerbursche Max, denn dieser Schuß soll ihn an die Seite Agathes, mitten hinein in eine reiche Förster-Familie, befördern. Da kommt ihm der zwielichtige Kaspar gerade recht. Der verspricht ihm nämlich die begehrte Munition. Nur muß Max sie sich in der unheimlichen Wolfsschlucht abholen. Kaspar glaubt, mit der Opferung seiner Verflossenen Agathe seine eigene Haut zu retten. Doch die Rechnung geht nicht auf. Der junge Regisseur verlegt die ursprünglich nach dem Dreißigjährigen Krieg angelegte Handlung mitten hinein ins Dritte Reich (Anmerkung: Wir spielen NICHT im dritten Reich, sondern „nach dem großen Krieg“, also angedeutet in den 50er Jahren, was sich u.a. an den Kostümen zeigt. Kay Link). Ganz konsequent bis zum Schluß bleibt er nicht bei seiner Linie. Seine Versuche, den wenig humorvollen Stoff mit ein wenig Klamauk aufzulockern, werden vom Publikum gern angenommen. Die schwungvolle Ouvertüre erklingt und die heile Welt eines Werbebildes zur Kinderlandverschickung (Bühne und Kostüme Olga von Wahl) verdeckt den Krieg. Inmitten Bayrischer Bierzeltseligkeit trifft der unsichere Max (großartig Hans-Jürgen Schöpflin a. G.) auf Kaspar (kraftvoll und richtig böse Rainer Zaun a. G.). Diese beiden Stimmgewalten, eine zu Herzen gehende Sabine Blanchard (Agathe) und ein phantastischer Chor tragen die Oper. Brigitte Roth (Ännchen) spielt phantastisch, hat es aber stimmlich schwer gegen das ambitionierte Loh-Orchester (Hiroaki Masuda). Köstlich amüsierte sich das Publikum über die Brautjungfern (R. Ifkowitz, M. Manolova, S. Stephan), ältliche Schnapsdrosseln, die sich nach jeder Strophe selbst hochleben lassen.«
Mitteldeutsche Zeitung Halle
Das Böse ist die Gewalt
Die Inszenierung haben wir aus der Dreiecks-Konstellation der Hauptfiguren heraus entwickelt (Max – Agathe – Kaspar), weil ich ganz nah an das Eingemachte dieser großartigen Oper heran wollte, an das Entsetzen und die Verzweiflung, die unter dem idyllischen Schein der Jagd- und Jungfernchöre lauern. Die Qualität dieser Oper besteht ja darin, daß die handelnden Figuren uns auch heute noch sehr nah und verständlich erscheinen. Es sind Menschen, die uns begegnen, keine Kunstfiguren. Deshalb ist der zerrissene und sich selbst zerreißende Max in dieser Lesart auch nicht der alleinige Sympathieträger und Kaspar mehr als ein böser Finsterling, Agathe und Ännchen nicht nur zwei in „schwermütig“ oder „munter“ eingeteilte Biedermeier-Frauchen. Wenn auch Samiel nicht als diabolische Inkarnation durchs Bild hinkt, ist er in unserer Interpretation allgegenwärtig: Das Böse ist die Gewalt. Wir erleben Menschen, deren Suche nach einem eigenen Lebensentwurf durch verschiedene Schattierungen von Gewalt verunmöglicht wird, sei es durch Krieg, Ausgrenzung oder Unterdrückung durch den Vater. Nur „wer schuldlos von Leben darf kindlich der Liebe des Vaters vertraun.“ Wer also sein eigenes Leben lebt und sich zu weit von der Herde entfernt, wird im Umkehrschluß schuldig. Und – das mag beim Freischütz erstaunen – es geht auch um Eros und Verführung. Maskuline Gewalt, Jagd, Lust bilden eine Mischung, die in der großartigen Musik Webers (v.a. in der Wolfsschlucht-Szene) ihre explosive Kraft entfaltet.
Einige Punkte, die gerne übersehen werden, waren für mich zentral: Kaspar und Agathe waren vor Beginn unserer Geschichte einmal ein Paar – eine Tatsache, die in einem kleinen Nebensatz im ersten Akt versteckt ist. Zweitens: Kaspar und Max waren einmal unzertrennliche Freunde. Und: Kaspar hat seine Jugend im Krieg verloren. Er ist kein Teufel, kein Unhold, sondern ein armes Schwein.
Diese Voraussetzungen muß man kennen, um die unheimliche Grundsituation der handelnden Protagonisten zu verstehen. Ich habe mir vorgestellt, wie Kaspar sich fühlen muß, als er nach Jahren vom Krieg nach Hause kommt und seine Agathe in den Armen seines besten Freundes vorfindet. Ich kann verstehen, daß ihm – der im Krieg alles gesehen hat und dem nichts menschliches fremd sein dürfte – jedes Mittel recht ist, um sich an den beiden in der Nacht vor der Hochzeit zu rächen. Die Verführung Max' in der Wolfsschlucht vor Agathes Augen läßt sie begreifen und stürzt Max in einen schrecklichen Konflikt aus dem es kein Entrinnen zu geben scheint. Es sei denn, einer der drei scheidet aus dem Leben. Zum Mord unfähig wird ihm allerdings auch der letzte Notausgang, der Freitod verwehrt. Die Kirche weiß das zu verhindern, sie entscheidet, wer hier sterben muß: Kaspar verblutet in den Armen seines Freundes. Kein Happyend, sondern ein unappetitliches: Ottokar selbst »kümmert« sich während des Probejahrs um Agathe, der Kirchenmann um Max. Ännchens scheinbar tröstende Worte klingen wie eine Drohung: »Und dann, geliebte Freundin, schmück ich Dich aufs Neu' zum Brautaltar«. Alles geht von vorne los. Der blanke Horror.
Apropos Ännchen: Die Busenfreundschaft der beiden Frauen möchte ich doch sehr bezweifeln. Anne sagt eigentlich immer das Gegenteil von Agathe, flirtet unverhohlen mit deren Bräutigam und hat es ohnehin satt, immer die zweite Geige zu spielen (welches Solo-Instrument begleitet Anne in »Kommt ein schlanker Bursch gegangen«? Eine Bratsche!). Für mich stehen beide in einem absoluten Konkurrenzverhältnis. Max ist für beide vielleicht die letzte Möglichkeit, das Forsthaus zu verlassen. Die drohende Alternative: den Hausherrn bis ins hohe Alter zu bekochen und schließlich tot zu pflegen. In meiner Besetzung waren beide weiblichen Figuren gestandene Frauen, was ich wunderbar fand. Die Ungerechtigkeit der Rollendetermination und die immer lauter tickende Uhr spitzen die spannende und spannungsvolle Beziehung der beiden noch weiter zu. Plötzlich erscheint die enervierende Munterkeit Annes in einem anderen Licht, kommt einem angesichts Agathes Verzweiflung geradezu sadistisch vor.
K.L.