Das Tagebuch der Anne Frank

Oper für Sopran und Kammerorchester von Grigori Frid

»Ergriffenheit lähmt die Zuschauer vorm großen Applaus. Das schafft nicht jeder!« Freie Presse Chemnitz

Musikalische Leitung:
Borys Sitarski
Regie:
Ausstattung:
Gudrun Müller
Anne Frank:
Sinfonieorchester Aue

 

Ausharren in der Enge eines Hinterhauses

Ergreifend: "Das Tagebuch der Anne Frank" als Monooper

Diese Enge. Sie ist allgegenwärtig. Ein Raum im Raum, verzerrte Perspektive, die Decke drückt auf die Seele, und die Bretterwand hindert die Freiheit am Atmen. Kein Bühnenbild zum Wohlfühlen. Weiß Gott nicht.

Enge auch im Zuschauerraum als „Das Tagebuch der Anne Frank“ am Freitag in Annaberg-Buchholz Premiere hatte. Eine Inszenierung des Winterstein-Theaters, aber nicht auf der angestammten Bühne, sondern im über-ausverkauften Jugendhaus „Alte Brauerei“. Und dort: kein Betroffenheitstheater, damit Schulklassen was zum Diskutieren haben, sondern eine Monooper aus dem Jahr 1969 mit sperriger Musik und – der Name sagt es – nur einer Darstellerin. Das ist Annett Illig. Diesmal in Begleitung eines Kammerorchesters, das sich zwischen Bühne und Stuhlreihen hinter eine Säule quetscht.

Das alles klingt nach Wagnis. Doch es funktioniert. Das Stück, die Umsetzung, die Sängerin, die Musik: Sie fügen sich zusammen zu einem bewegenden Abend. Der Applaus und die fast schüchternen Bravos am Ende erschie­nen so gar ehrlicher als so manche stürmische Ovation für teuer bezahlte Prominente.

Für die Sängerin hat Frid die Worte in anspruchsvolle Noten gefaßt. Ständig muß Annett Illig Tonhöhe und Aus­druck verändern, klingt wie eine Dreizehnjährige und nun plötzlich dunkel und voller Verzweiflung wie eine Er­wachsene. Mehr als zwei Oktaven geht es runter – und gleich wieder hoch.

Durch das beengende Bühnenbild von Gudrun Müller bleibt der Darstellerin nicht viel Platz zum Agieren. Doch ihr Gesicht, das spricht Bände. Man wundert sich, wie sie so unbeschwert mädchenhaft sein kann und vergißt dabei, daß erst das traurige Ende die Geschichte so tragisch macht.

Dazu liefert die Musik zwar kaum Melodien, dafür aber einen Kommentar zur Handlung. Ist jazzig oder bedroh­lich, mal zu laut und dann wieder fast mucksmäuschenstill. „Das Tagebuch der Anne Frank“ ist trotz des bekannten Inhalts kein leicht verständliches Stück. Mit einem großen Memory-Spiel – Symbole des Lebens da draußen – unterstreicht Regisseur Kay Link dessen Intention. Der letzte Beweis dafür, daß wer wagt auch gewinnt: Obwohl jeder weiß, daß Anne Frank den Krieg nicht überlebt, lähmt Ergriffenheit die Zuschauer vorm großen Applaus. Das schafft nicht jeder!

Freie Presse Chemnitz

Das Tagebuch der Anne Frank. Ergänzung der Mono-Oper von Grigori Frid durch gesprochene Passagen

 

Das Tagebuch der Anne Frank  gilt heute vor allem als einzigartiges zeitgeschichtliches und literarisches Dokument über das Leben von Verfolgten während des dritten Reichs. Am Beispiel zweier nach Amsterdam geflohenen und dort untergetauchten jüdischen Familien wird das Ausmaß der Verfolgungs- und Vernichtungswut der Nazis erahnbar.

Anne war jedoch kein Wunderkind. Wie viele Teenager schrieb sich in ihren Aufzeichnungen in erster Linie Privates von der Seele, Dinge, die Jugendliche eben beschäftigen: Tratsch und Klatsch, Probleme mit den Eltern, erste Liebe, erwachende Sexualität usw. Die unmenschlichen Bedingungen, unter denen Minderheiten in Nazideutschland und den besetzen Staaten wie den Niederlanden leben mußten – oftmals versteckt wie die Familie Frank –, bilden eigentlich nur den Hintergrund für Annes überaus humorvollen, teilweise frechen, verblüffend scharfen und tiefsinnigen Blick auf die Welt. Und genau dies kommt in der Opernfassung zu kurz.

Der Komponist Grigori Frid, dessen Familie selbst verfolgt und verbannt wurde, hat sich, biografisch durchaus verständlich, für eine Textauswahl entschieden, die meiner Ansicht nach ein einseitiges Bild von Anne zeichnet. Bei ihm haben die schwermütigen, verzweifelten Momente ein Übergewicht. Teilweise bricht er die Vertonung des Textes gar an genau der Stelle ab, wo im Tagebuch die Wendung ins Positive, Hoffnungsvolle steht. Deshalb habe ich an einigen Stellen auf das Originaltagebuch von Anne Frank zurückgegriffen. Die von der Darstellerin gesprochenen Passagen sollen das Libretto ergänzen und an manchen Punkten die Situation weiterführen.

Die überraschend positive Kraft und Zuversicht, die von diesem Mädchen ausgingen, machen Anne Frank auch zu einem Vorbild dafür, daß selbst in den schwierigsten Situationen das Leben das Beste ist, was uns passieren kann. Wir müssen es nur in die Hand nehmen. Anne Frank durfte ihre Träume und Ziele später nicht verwirklichen – sie starb wie ihre Schwester und ihre Mutter kurz vor Ende des Nazi-Terrors im KZ. Ihr Schrei nach Leben ist ein Plädoyer für Toleranz und Menschlichkeit, eine Absage an jegliche Gewalt gegenüber anderen.

Kay Link