Pimpinone / Die Magd als Herrin
»Hinreißendes Theaterspektakel... Link fackelt ein Bühnenfeuer ab, dass es nur so prasselt« Freie Presse
Opernartistik mit Stimme und Spiel
Hinreißendes Spektakel: Zwei heitere Stücke von Telemann und Pergolesi feierten im Annaberger Theater Premiere
[...] Regisseur Kay Link macht nicht viel Federlesen mit Gezeiten und Orten, er inszeniert Gegenwart und Irgendwo. Der Herr ist irgendein PR-Manager oder Ladenkettenbesitzer oder Betreiber einer Anwaltskanzlei, jedenfalls ist Geld da und zwar in unserer Lieblingswäh rung – es wird dem Euro ein Lied gesungen.
Was der junge Regisseur diesem alten Opernschinken abgewinnt, ist schlichtweg ein hinreißendes Theaterspektakel von knapp zwei Stunden Spieldauer, die keinen, aber auch keinen Moment Zeit lassen etwa für einen Blick zur schönen Nachbarin in den Stuhlreihen oder gar zur Uhr. Link fackelt ein Bühnenfeuer ab, dass es nur so prasselt.
Das eigentliche Wunder dieser Inszenierung ist ja, dass barocke Opernarien richtiggehend gespielt werden können, singend gespielt, spielend gesungen. Das will was heißen, denn Telemann und Pergolesi sind Meister der musikalischen Zier, das heißt, Virtuosität des koloraturreichen Singens ist allein schon eine Tortur. Das aber nun im Liegen und beim Lieben auf Schreibtisch oder Bettcouch, im ehelichen Boxring bei schwerstem Schlagabtausch, während einer höllischen Verfolgungsjagd quer durchs Chefbüro zu absolvieren, ist beinahe nicht mehr Oper, sondern Artistik.
[...}. Die charmante zierliche Sopranistin Anja Meyer ist noch in der Ausbildung an der Musikhochschule Dresden, der Bass Joachim Holzhey an jener in Weimar. Was ihnen die beiden Komponisten Telemann und Pergolesi abverlangen, ist schon viel, sehr viel. Der Regisseur aber treibt’s auf die Spitze. Der jagt die Stimmen förmlich aus der Kehle heraus ins Spiel hinein. Da können die zwei wirklich sagen, dass mal einer mit ihrem Organ gespielt hat. [...]
Dem Kammersang und -spiel fügte Kay Link noch einen Kammerherrn hinzu, die stumme Rolle des Vespone. Der ist als Diener von Haus aus bei Pergolesi vorgesehen, aber hier ist seine Rolle höchst aufgewertet und in beiden Stücken sogar von hintergründiger Dominanz. Der nämlich arrangiert, fädelt ein, der blockt ab, vielleicht auch ist er selber scharf auf das Mädchen? Oder auf seinen Herrn? Oder auf beide? Thomas Tucht, obwohl er kein Wort zu sagen hat, wie es einem rechten Diener gebührt, er macht eine Pantomime ersten Ranges.
Die Musik, es ist ja Oper: Borys Sitarski hält die Partitur in der Hand und die Bühne in Griff. Er sitzt direkt auf der Ebene des Spiels, er leitet Sang und Spiel und dazu das begleitende Streichquartett vom Cembalo aus. Allerdings hat die Musik den Pfeffer des szenischen Spiels nicht, da sollte mehr Temperament rein, wenn der Premierenfrack wieder im Schrank hängt.
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Sie lassen die beiden Stücke in der Jetztzeit spielen. Warum Barockoper aktualisieren?
KL: Ich antworte mit einer Gegenfrage: Warum nicht? Man kann darauf keine allgemeingültige Antwort geben. Wir haben die Gegenwart gewählt, weil das so naheliegend erschien. Aktualisieren hieße ja, daß die Stücke an sich nicht aktuell wären. Doch sie sind aktuell. Die Bilder, die mir einfielen, waren wohl deshalb auch keine historischen. Ich sehe kein Mehr an Unterhaltung, wenn man die Figuren hinter Barock-Kostümen versteckt hätte. Was hat das Publikum davon? Zur Entstehungszeit um 1730 wurden die Darsteller ja auch nicht in, sagen wir mal, mittelalterliche Kostüme gesteckt. Die Figuren waren Menschen, wie Sie die Zuschauer von damals kannten. Da uns heute das Verhältnis Magd-Herr weniger geläufig ist als im 18. Jahrhundert, versuchten wir eine moderne Entsprechung zu finden. Wichtig war mir dabei, daß ein Verhältnis der Abhängigkeit, ein ökonomisches und gesellschaftliches Gefälle zwischen Herr und Magd bzw. Diener existiert.
Finden Sie nicht, daß der Vergleich zwischen einer Angestellten von heute und einer Dienstmagd zur Barockzeit weit hergeholt ist?
KL: Ganz und gar nicht. Es ist tatsächlich erstaunlich, welche Formen Arbeitsverhältnisse auch heute noch annehmen können. Eine Freundin von mir hatte einmal für wenige Tage für das sogenannte „Abendsekretariat“ der Firma Hunzinger in Frankfurt am Main gearbeitet. Moritz Hunzinger war im vergangenen Jahr häufig in den Medien und war als PR-Berater für Politiker wie Scharping und Özdemir in Skandale verwickelt. Auf jeden Fall berichtete diese Freundin Haarsträubendes von ihrem abendlichen Dienst. Das Angebot Herrn Hunzingers, sie dürfe gerne nach dem Dienst auch seine Hemden bügeln, sei noch eines der harmloseren gewesen. Ein perfektes System der Unterordnung muß dort geherrscht haben. Viele junge Frauen hielten dies übrigens nicht aus oder wollten da nicht mitspielen, so auch meine Bekannte. Interessant ist jedoch, daß einige blieben und sich die schlechte Behandlung, die merkwürdigen Arbeitsbedingungen dort gefallen ließen. Vielleicht, weil sie auf den Job angewiesen waren oder sich einen schnellen beruflichen Aufstieg erhofften, der sie eines Tages für alles entlohnt.
Die Vermischung von privater und beruflicher Sphäre spielt in Ihrer Inszenierung dann ja auch eine Rolle. Warum haben Sie aus dem Kammermädchen Vespetta eine Art Assistentin gemacht, ihre Aufgaben also in den öffentlichen Bereich verschoben?
KL: Wo genau Ihr Arbeitsfeld liegt, haben wir ja offen gelassen. Im Libretto wird nur Pimpinones hoher Stand und Reichtum angedeutet. Wir haben dies dahingehend übersetzt, daß Pimpinone ein Geschäftsmann oder Rechtsanwalt ist. Die geschäftsmännische Art, mit der er selbst private Dinge regelt, ließ uns die Handlung in einen Büroraum verlegen. Übrigens habe ich nur weitergedacht, was bereits in der ersten Szene von Pimpinone angelegt ist. Im Original bietet das Kammermädchen Ihre Dienste auf offener Straße feil, zählt Ihre Qualifikationen auf. Diese erste Arie der Vespetta ist eine Bewerbungsarie. Da sucht jemand einen Job. Der Schritt zu Lebenslauf und Zeugnismappe war also nicht weit. Ihr zweideutiges „Ich mach alles, alles, was dazugehört“ ist, glaube ich, weniger echte Bereitschaft, mit Ihrem künftigen Arbeitgeber auch ins Bett zu gehen, als vielmehr cleveres Kalkül. Sie setzt ein Signal, auf das die meisten Männer, so auch Pimpinone, erst mal anspringen. Zu ihrem Ziel – zunächst eine Anstellung zu guten Konditionen später die Heirat und Herrschaft in Haus und Büro – kommt Vespetta schließlich nicht durch Ihre Schönheit, sondern durch Intelligenz. Sie ist nicht Opfer des Systems, sondern sie nutzt es für Ihre Zwecke aus – und zwar extrem zielstrebig.
Das klingt sehr nach einem sozialkritischem Stück. Wo bleibt die Komik?
KL: Wie sie das macht, ist sehr komisch – und wie Pimpinone damit umgeht. Die Dialoge, die hier in Form von Rezitativen gefaßt sind, wirken wie ein improvisierter Schlagabtausch und sind deshalb sehr witzig. Der „Rosenkrieg“, den sich die beiden im dritten Teil liefern, wird – bei aller Übertreibung – manchem gewiß bekannt vorkommen. Außerdem ist die Musik, sowohl die des Deutschen Telemann als auch die des Italieners Pergolesi, bereits voller Humor. Das war wohl auch der Grund, warum diese kleinen Opernformen, die ursprünglich ja nur in den Aktpausen der großen Opera Seria aufgeführt wurden, beim Publikum so beliebt waren. Die lautmalerischen Arien des von Liebe verwirrten Pimpinone oder das Duett im Finale 1 von Die Magd als Herrin, wo Uberto langsam gegen die in ihm aufkeimende Versuchung ankämpft, sind einfach hinreißend komisch.
Beide Librettisten verwendeten ja den gleichen Stoff. Worin sehen Sie inhaltlich den Hauptunterschied zwischen den beiden Opern?
KL: Verkürzt gesagt werden bei Die Magd als Herrin die Hauptfiguren von Ihren Gefühlen geleitet, bei Pimpinone denken beide in erster Linie an ihren eigenen Vorteil. So wie Vespetta klar das Vermögen und die höhere gesellschaftliche Stellung im Auge hat, die ihr die Hochzeit mit Pimpinone einbringen wird, denkt er neben aller erotischen Anziehungskraft Vespettas auch an die praktischen Seiten einer solchen Verbindung. Pimpinone kommentiert ja auch die nüchterne Einigung zur Heirat mit „Unbezahlbar!“. Wie einen Vertrag handeln die beide ihre Ehe aus. Deshalb erscheint das „Hochzeits-Duett“ („Reich die Hand mir“) am Ende des zweiten Teils auch eher wie der Handschlag eines Geschäftsabschlusses.
Ganz anders bei Die Magd als Herrin. Das Schlußduett ist hier für mich Ausdruck eines wirklichen Happy Ends. Zwar muß auch Serpina zunächst eine List anwenden, um zum Ziel zu gelangen, doch in erster Linie möchte sie doch Uberto dazu bringen, seine Gefühle zu erkennen. Ansonsten wäre der Schluß auch unglaubwürdig.
Ist das nicht eine heikle Beziehung? Immerhin ist Serpina Ubertos Pflegetochter.
KL: Ich vermute, zur Entstehungszeit war es ein größerer Skandal, seine Dienerin zu heiraten. Doch Uberto handelt für mich sehr verantwortungsvoll. Er denkt ja nicht im Traum daran, daß Serpina und er ein Paar werden könnten. Gerade weil er sie von klein auf kennt, verdrängt er alle Gefühle, die weiter als die Elternliebe gehen. Außerdem geht sie ihm ja auch auf die Nerven. Sie taugt als Haushälterin wenig und streitet ständig mit ihm. Er nervt wiederum Serpina, weil sie verständlicherweise keine Lust hat, ihn von vorne bis hinten zu bedienen. Sie fühlt sich in dieser Rolle unterfordert, traut sich mehr zu. Als Mann findet sie ihren ehemaligen Vormund allerdings attraktiv.
Ist das denn glaubhaft, daß sich Serpina in den alten Uberto verliebt?
KL: Durch unsere eher unüblich junge Besetzung der Baßpartie werden beide Opern, wie ich glaube, interessanter. Uberto und Pimpinone sind eben nicht alte, womöglich halb senile, lüsterne Hagestolze. Das wäre mir auch zu einfach und klischeehaft. Da wir nicht wissen, wann genau Uberto Serpina bei sich aufgenommen hat, gingen wir von einem geringen Altersunterschied aus. Das mag dem Zuschauer das Verständnis für Serpinas Gefühle erleichtern. Denn was sind schon 15 Jahre Altersunterschied?
Noch ein Wort zur stummen Rolle des Dieners?
KL: Eigentlich ist Vespone nur in Die Magd als Herrin vorgesehen, Pimpinone ist ein Zweipersonen-Stück. Ich habe ihn – sehr barock gedacht – schon aus Gründen der Symmetrie auch dort auftreten lassen. Mittlerweile kann ich mir dieses Stück gar nicht mehr ohne ihn vorstellen. Die Figur des stummen Dieners, der alles mitbekommt, jedoch nie zu Wort kommt, ist bei uns der rote Faden, der durch den Abend geht. Auch wenn er keinen eigenen Text hat, ist er die heimliche Hauptperson. Er führt den Zuschauern zwei „Szenen einer Ehe“ aus der wohlhabenden Schicht vor, mal als persönlicher Referent eines Geschäftsmannes, mal als eine Art Butler in einem etwas gebildeterem Umfeld. Unser Doppel-Abend ist ja nichts anderes als ein Thema mit Variationen.
Die Dreier-Konstellation bietet natürlich sehr viel mehr Möglichkeiten. Wechselnde Koalitionen zum Beispiel. Vespetta versucht zunächst über Vespone an dessen Chef Pimpinone heranzukommen, statt ihre Auftrittsarie auf leerer Bühne zu singen. Später existiert Vespone für sie kaum noch. Oder Serpina, die Vespone zunächst ja sehr schlecht behandelt, gewinnt ihn schließlich für sich und ihre Pläne. Vespone ist dabei nicht einmal seinem Herrn gegenüber illoyal, da er für ihn ja nur das Beste will. Außerdem hat er die Nase voll von den Streitereien der beiden. Er hat deshalb ja auch schließlich Pimpinone und Vespetta allein auf ihrem Kriegsschauplatz zurückgelassen. Obwohl Vespone teilweise schlecht behandelt wird, bewahrt er sich so etwas wie eine innere Größe. Er denkt sich seinen Teil, agiert im Hintergrund, ist jedoch kein Intrigant. Er ist treu und äußerst gutmütig.
Und tierlieb...
KL: Und tierlieb! Mit seinem Freund, dem ebenfalls stummen Goldfisch, versteht er sich sehr gut. Wir haben ihn während der Probenarbeit übrigens Fridolin getauft.